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Ein wahre Geschichte über einen tapferen Kater und seine Familie: Teil 3

Dienstag

Mit einem Gefühl in der Magengrube, das sich am ehesten mit einem schwer verdaulichen Objekt beschreiben lässt, machten wir uns auf den Weg in die Tierklinik. Dr. Kinzel hatte einen gemeinsamen Termin mit der ebenfalls dort ansässigen Tierärztin Frau Dr. Neumann, die gleichzeitig auch als Physiotherapeutin arbeitet, vereinbart. Emilio verhielt sich während der Untersuchung sehr gelassen und eher abwartend, so als wolle er sagen: „Ihr macht das schon!“. Er ließ die Schmerzreflexuntersuchung ruhig und ohne erkennbaren Widerstand über sich ergehen, als wisse er, dass das Ergebnis dieser Untersuchung für ihn zukunftsweisend war. Mit einem Hauch von Hoffnung erklärte Dr. Kinzel, dass die Schmerzreflexe erkennbar zurückgekehrt seien. Zwar verlangsamt, es sei aber ein deutlicher Fortschritt zu letzten Untersuchung erkennbar. Lediglich der linke Vorderlauf schien sich nicht den anderen Läufen anpassen zu wollen. Emilio hielt seinen linken Vorderlauf permanent nach innen geknickt und war nicht in der Lage, ihn auch nur ansatzweise selbstständig zu bewegen. Die Hinterläufe zog er während der Schmerzreflexuntersuchung ein wenig an und zeigte damit seinen Fortschritt. Eine selbständige Belastung der hinteren Extremitäten war völlig unmöglich. Dr. Neumann, die der Untersuchung beiwohnte, überprüfte die regulären Reflexe der Beine, untersuchte die Muskulatur und verschaffte sich einen Überblick über den körperlichen Allgemeinzustand. Eine Lähmung der Hinterläufe an sich ist ja schon tragisch, aber der Patient kann sich mit den Vorderläufen noch fortbewegen. Wenn jedoch drei Beine von der Parese betroffen sind, gestaltet sich eine Behandlung mit entsprechenden Genesungsaussichten als sehr schwierig. Entsprechend dieser Untersuchungsergebnisse unterhielten wir uns über Emilios Prognose. Dr. Kinzel sah die Genesung der Hinterläufe als sehr vielversprechend, jedoch den linken Vorderlauf recht kritisch. Dr. Neumann war anderer Meinung. Sie sah die Genesung der Hinterläufe eher kritisch, die des Vorderlaufes eher positiv.

Was nun?

Wie vermag ich einen vernünftigen Kompromiss zu finden, für ein Lebewesen, das ich liebe und für das ich die Verantwortung übernommen habe. Verantwortung heißt aber auch, zum richtigen Zeitpunkt loslassen zu können. Was würde Emilio wollen, hat er überhaupt ein lebenswertes Leben mit einer Lähmung? Er war Freigänger und das Spielen mit seinem Rudel gewohnt. Würde er darauf verzichten können? Fragen, die in geballter Form auf einen auftreffen. Entscheidungen, die aktuell und situativ gefällt werden mussten, trotz des ganzen Wirbels in meinem Kopf. Da fiel mir der Spruch von Dr. Schullenberg wieder ein: „Katzen sind unglaublich, und die schaffen viel mehr, als es im Moment den Anschein hat, vertrauen Sie darauf!“. Zeit… – Zeit schien mir eine annehmbare Lösung, eine Entscheidung konnte ich immer noch treffen. Es kostet doch nur Zeit! Im Gegensatz dazu, was könnte ich unwiederbringlich verlieren?… Emilio… ein Leben! Als auch noch Dr. Kinzel von ihrer gelähmten Katze berichtete, war ich mir sicher. ——-Zeit halt—-

Wir wechselten in das Sprechzimmer von Dr. Neumann, wo sie einen individuellen Behandlungsplan für Emilio erstellte. In schriftlicher Form lag er nun vor, und Dr. Neumann verfolgte den Lehransatz: „Learning by doing“. Sie erklärte mir die einzelnen Übungen anhand vom praktischen Beispiel an Emilio. Sie machte vor und ich unter Anleitung und Korrektur nach. Fragen wurden intensiv besprochen, kleine Schwierigkeiten durch Alternativen beseitigt. Nach einer Stunde Praxis fühlte ich mich soweit unterrichtet, die Übungen zu Hause alleine gut anwenden zu können. Da Dr. Neumann der hygienische Zustand von Emilio selbstverständlich aufgefallen war, stellte sie mir die Luna-Seite vor. Luna, eine Zeit ihres Lebens gelähmte inkontinente Katze, hat mit der Unterstützung ihrer Dosi (so nennt man einen zweibeinigen Katzenbesitzer) jahrelang mit ihrer Behinderung gut und sehr lebensfroh gelebt. Lunas Frauchen hatte sich mit dem Thema „Inkontinenz bei Katzen“ intensiv auseinander gesetzt und eine gut umsetzbare Lösung gefunden, die sie im Internet veröffentlicht hat. Von diesen Ergebnissen konnten nun auch wir profitieren.Frau Dr. Neumann hatte uns die Anleitung für das Windeln von Katzen ausgedruckt und ausdrücklich erklärt, dass ein Wundsein durch ständigen Urinfluss unbedingt vermieden werden müsse, um weitere Erkrankungen zu vermeiden. Emilio mini2Mit neuen Aufgaben im Gepäck verließen wir die Praxis, kauften Windeln und Einmalauflagen ein. Ob Emilio, der stolze Kater, sich wohl Windeln anlegen lassen würde? Schriebe ich jetzt, dass das völlig problemlos vonstatten ging, müsste ich lügen. Im Nachhinein stelle ich mir die Frage, wer mit wem mehr Geduld hatte. Emilio schien meine Aufregung zu spüren, meine anfängliche Ungeschicklichkeit sicher. Es dauerte schon ein wenig, bis meine Bewegungen routinierter und für Emilio auch einfacher wurden. Nach und nach optimierte sich unser System. Mit viel Übung fand sich auch die richtige Anpassung der Windel für Emilios Körper. Anfangs wickelte ich Emilio auf seinem Bett, um unnötige Bewegungen und Stress für ihn zu vermeiden. Sein Rudel ließ ihn völlig außer Acht. Beruhte diese bewußte Ignoranz nun auf der Tatsache, dass Emilio sich zwischen Tod und Leben befand und das Rudel diesen Umstand wahrgenommen hat? Ich denke schon, denn mit der Zeit änderte sich das Verhalten, dazu später mehr.

Durch das Wickeln gestaltete sich unser Tagesablauf völlig anders. Auflagen waren nach wie vor nötig, aber das häufige Waschen der Handtücher und Decken (vier Mal am Tag) entfiel und wich dem normalen Rhythmus. Emilio, der auf seinem Krankenlager etwa 1 m² zur Verfügung hatte, wurde täglich wacher und aufmerksamer. Die Wunde am Kinn heilte gut, es zeigte sich schon Schorf. Nachts schlief Emilio immer noch sehr unruhig und suchte den Körperkontakt. In meiner Angst, ihn zu verletzen, hatte ich auf der Schnittstelle beider Sofas eine Barriere errichtet, die ihm zwar ermöglichte, mich zu sehen und mir die Möglichkeit ließ, meine Hand an seinen Körper zu legen, ihn aber davon abhielt, sich zu mir rüber zu robben. Morgens stellte ich dann fest, dass Emilio sich in der Nacht bis zur Erhöhung geschleppt und eine Pfote darauf gelegt hatte. In Bewegung war er jetzt schon, mühsam, aber Hauptsache: in Bewegung!

Unser tägliches Ritual sah nun folgendermaßen aus:

Wir standen um 05:00 Uhr auf. Dann nahm ich meinen Kater auf den Arm, ging mit ihm in die Küche und legte ihn auf der mit einem Handtuch vorbereiteten Spülfläche ab. Sein Rücken zeigte zu mir und mit dem rechten Arm umfing ich seinen Körper. Emilio legte nach einer gewissen Zeit seinen Kopf in meine Armbeuge. Emilios Po wurde so platziert, dass er ein klein wenig über den Spülbeckenrand hinausragte. Dann wusch ich mit warmem Wasser und Katzenshampoo die Genitalien, die Pfoten und den Bauch sauber. Mit der Zeit passte Emilio sich so hervorragend an, dass er mit dem Kotabsatz bis zum Waschen wartete. Dann reichte schon das Geräusch des laufenden Wassers, hin und wieder eine kurze Stimulation des Afters, um den Kotabsatz auszulösen. Anschließend wurde Emilio nach dem Waschen auf ein trockenes Handtuch abgelegt und eingemummelt. Dann folgte im Wohnzimmer (dort war es einfach wärmer) der vermeintlich schwierige Teil. Das Föhnen. Ich war mir absolut nicht sicher, ob er das ungewohnte Geräusch und die warme Luft tolerieren würde. Aber was blieb uns anderes übrig, Alternativen gab es nicht! Ihn einfach trocknen zu lassen, wäre völlig unverantwortlich gewesen. Also setzte ich mich mit Emilio auf den Beinen auf den Wohnzimmerboden. Föhn, Bürste und vorbereitete Windel lagen neben mir. Seitwärts lag er auf meinen ausgestreckten Beinen. Ich schaltete den Föhn auf niedrigster Stufe ein. Das hohe Rauschen des Föhns ließ Emilio sich zuerst etwas sträuben. Aber sein Vertrauen war größer und offensichtlich empfand er die warme Luft als sehr angenehm, denn er entspannte sich zusehends. Mit der weichen Bürste fing ich an, das Fell an den Oberschenkeln zu bearbeiten. Die Reflexpunkte der Knie bürstete ich unter leichtem Druck und stellte erfreut fest, dass die Reflexe ausgelöst wurden. Zwar leicht, aber vorhanden. Dann folgten Bürstenstriche entlang des Rückens bis zur Schwanzwurzel. Erst mit dem Strich, dann entgegen des Striches und wieder mit dem Strich. Die Fußsohlen stimulierte ich ebenfalls mit der Bürste. Dann wurde die andere Seite entsprechend der ersten behandelt. Zum Schluss wurde der Schwanz getrocknet, aber unter Anwendung eines Kammes. Jetzt fragen Sie sich sicher: „Warum mit dem Kamm?“ Leider hatte Emilio aufgrund des Unfalles auch kein Gefühl mehr im Schwanz und konnte selbigen auch nicht mehr heben, daher wurde der Schwanz noch zusätzlich behandelt.

Mal sehen, wie Emilio mit der Windel zurechtkommt…

Ein wahre Geschichte über einen tapferen Kater und seine Familie: Teil 5

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