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Ein wahre Geschichte über einen tapferen Kater und seine Familie: Teil 2

 

Über Nacht hatte Emilio Urin abgesetzt. Leider nicht in der Menge, die hätte sein müssen. Seine Blase konnte er offensichtlich nicht steuern, das war ein Punkt, den ich bei Dr. Schullenberg ansprechen musste. Einen Termin hatten wir ja bereits am Freitag vereinbart. Emilio machte darauf aufmerksam, dass er sich in seiner derzeitigen Lage unwohl fühlte. Also entfernte ich die Einmalauflagen, legte neue Handtücher auf und machte mir Gedanken, ob er sein Futter annehmen würde. Einen Versuch war es wert, da er ja seit Donnerstag nichts mehr zu sich genommen hatte. Ich pürierte sein Lieblingsfutter und versetzte es mit 2 Esslöffeln Wasser, da Emilio auch nicht trank. Das angebotene Wasser aus dem Napf konnte er nicht aufnehmen, das war wohl zu schmerzhaft. Den flachen Teller mit dem Futter-/Wassergemisch stellte ich vor Emilio hin. Er hob den Kopf und drehte seinen Oberkörper in Richtung des herrlichen Duftes. Nach kurzem Schnuffeln war der Hunger größer als der Schmerz, und man hörte nur ein zufriedenes Schmatzen und Schlürfen. Er verschlang das Futter in kürzester Zeit, verständlich, wenn man bedenkt, dass er seit seinem Unfall nicht mehr gegessen hatte. Nachdem auch der letzte Krümel vom Teller verschwunden war, legte Emilio sich erschöpft zurück und schlief schnell tief und fest.

Für 12:00 Uhr war ein Behandlungstermin mit Dr. Schullenberg in der Praxis vereinbart. Nach der ausgiebigen Begrüßung untersuchte „Schulli“ Emilio ganz vorsichtig. Sie zog ihm zwei der zersplitterten Zähne, weil sie drohten, die Mundschleimhaut zu verletzen. Nach der Gabe von Schmerzmitteln vereinbarten wir einen weiteren Termin für den Abend. Emilio verschlief den restlichen Tag, und wüsste ich nicht, dass Katzen ohnehin auf leisen Pfoten schleichen, hätte ich vermutet, dass der Rest des Rudels über das Laminat geschwebt ist. Ich habe keine andere Katze gehört, obwohl die sich sonst schon mal raufen und eigentlich nicht besonders leise gehen. Die Redensart: „Der Körper gesundet im Schlaf.“ war auf Emilio uneingeschränkt anwendbar. Als seine Tierärztin „Schulli“ ihn am Abend liebevoll ansprach, war er schon deutlich aufnahmefähiger. Sie untersuchte ihn erneut sehr, sehr behutsam und sprach ganz leise aufmunternd mit ihm. Sorge bereitete ihr die prall gefüllte Blase. Emilio konnte seinem Harndrang nicht nachgeben beziehungsweise ihn nicht steuern, die Blase hatte als solche ihre Funktion eingestellt und fungierte lediglich als Überlauf. Urin wurde in der Blase gesammelt, konnte aber auf natürliche Art und Weise nicht abgeführt werden, sondern lief über, sobald die Blase zu voll war. Dr. Schullenberg nahm Emilio vorsichtig auf und ging mit ihm zum Spülbecken in der Küche. Sie drückte mit schnellen, routinierten Griffen die Blase manuell aus und zeigte mir nebenbei, mit entsprechenden Erklärungen, wie das geht. Der Anblick des Urins versetzte mir einen Schock. Blut, ganz viel Blut im Urin! Der war nicht mehr gelb oder durchsichtig, sondern vom Farbton her tiefrot. Dr. Schulli beruhigte mich und klärte mich auf.

Nach einem Verkehrsunfall, so wie ihn Emilio erlitten hatte, ist es völlig normal, dass sich Blut im Urin sammelt,verletzte Muskeln, Fasern sorgen für eine Rotfärbung des Urins. Laut Röntgenbild war die Blase intakt, von daher brauchten wir uns zunächst nicht zu sorgen. Eine intakte Blase, mit dem entsprechenden Gefühl dafür, wäre jetzt schon toll gewesen. Da das nun mal in der derzeitigen Situation Wunschdenken war, leitete Dr. Schullenberg mich noch praktisch an, was das manuelle Entleeren der Blase anbelangt. Sie hat das auch mehrfach versucht, nur war ich nicht in der Lage, das rnünftig umzusetzen. Jedes Mal, wenn ich versuchte, Emilios Blase auszudrücken, maunzte er. War es Schmerz oder mein unbeholfener Handgriff? Ich konnte es nicht beurteilen. Was ich konnte, war, meine Unfähigkeit einzugestehen. Dr. Schullenberg sollte am nächsten Tag auch dafür eine Lösung zur Hand haben. Am Sonntag legte sie Emilio nach einer örtlichen Betäubung einen Katheter, vernähte ihn und verschloss ihn mit einem Drehstopfen. Problem erkannt, Problem gebannt. So ist sie halt eben, immer kompetent pragmatisch. Sie nahm meine Hand und zeigte mir, unter Führung ihrer Hand, wie sich eine prall gefüllte Blase anfühlt (wenn ich das beschreiben müsste, würde ich sagen, wie ein Tennisball, der sich in den hinteren Bauchraum verirrt hat). Der Stopfen wurde aufgedreht, die Blase von unten gestützt, von oben gedrückt, und schon lief es, immer noch verfärbt, nur heller. Das würde ich wohl jetzt häufiger machen. Emilio lag da und ließ den ganzen Vorgang in der ihm eigenen Gelassenheit über sich ergehen. Das Abhorchen der Lunge offenbarte keinen guten Befund. Sie hörte sich feucht an. Das heißt: neben den normalen Atemgeräuschen hört man ein Knistern oder Rasseln, welches durch abgelöste Sekrete oder Ödemflüssigkeit ausgelöst wird. Die Lunge wird dann nur unzureichend belüftet, und es droht eine Lungenentzündung.

Um eine schwerwiegendere Erkrankung zu vermeiden, war es jetzt nötig, meinen Kater regelmäßig umzulagern, damit beide Lungenflügel seitengleich belüftet werden. Dr. Schullenberg verabreichte Emilio ein Antibiotikum, Cortison und ein Schmerzmittel. So war er für die Nacht gut gerüstet. Gedanken mussten wir uns noch über seine mangelnde Verdauung machen. Emilio war seit seinem Unfall nicht in der Lage, eigenständig Kot abzusetzen. Durch das Abtasten war ersichtlich, dass der Darm gut gefüllt war. Auch das Problem sollte Dr. Schullenberg am nächsten Tag lösen. Ich bin so erleichtert, dass wir das Wochenende gut hinter uns gebracht haben. Im Hinterkopf nagte immer der Gedanke, dass das schwere Schädel-Hirn-Trauma lebensbedrohlich ist. Das Wochenende quasi als unser „Lebenszeit-Fenster“ anzusehen war. Emilio hatte sich über Nacht den Katheter gezogen und schaute mich mit einem sehr selbstzufriedenen Gesichtsausdruck an. Er schien, durch sein zerstörtes Gebiss lächelnd, zu fragen: „Na, habe ich das nicht gut gemacht?“ Trotz des beständigen Austauschens der Auflagen roch es extrem nach Katzenurin. Emilio sah vollkommen zerwuselt aus und fühlte sich offensichtlich nicht wohl. Ein Dilemma! Auf der einen Seite traute ich mich nicht, meinen Kater durch eine Körperreinigung zu stressen, auf der anderen Seite zeigte er deutlich sein Unbehagen. Der Mittelweg erschien mir als vernünftige Lösung. Mit einem feuchten, warmen Waschlappen reinigte ich die betroffenen Stellen, so gut es ging. Ich gestaltete diesen Vorgang für Emilio so angenehm wie möglich und beendete die Prozedur mit einem Kügelchen Leberwurst für ihn als Belohnung.

Da ich in dieser Woche ohnehin noch einen Termin mit Dr. Kinzel vereinbart hatte, sollte sich auch für diese Situation eine Lösung finden lassen. ———- Der Einsatz von Windeln war mir zu diesem Zeitpunkt nicht geläufig, und richtig logisch denken war nicht möglich.——- Zu diesem Thema kehre ich später zurück.

Montagabend besuchte Dr. „Schulli“ uns nach ihrer regulären Sprechstunde. Sie hatte für Emilio einen Einlauf mitgebracht und führte die Flüssigkeit mit einem dünnen Schlauch, nach einer oberflächlichen Betäugung, in den Darm ein. Emilio war wenig begeistert und brachte das auch zum Ausdruck. Dr. Schullenberg ließ sich jedoch nicht beeindrucken und sprach beruhigend auf Emilio ein, der die weitere Untersuchung dann auch kommentarlos über sich ergehen ließ. Tapferer, kleiner Kerl!!! Eine andere Problematik war, dass er nicht trinken wollte. Er nahm zwar Flüssigkeit über die Nahrung auf, jedoch nicht im ausreichenden Maße. Dr. Schullenberg legte noch einmal eine Infusion an und unterstützte Emilios Kreislauf mit der zusätzlichen Kochsalzlösung.

Emilio war schon immer ein ganz besonderer Kater. Wir haben uns ganz bewusst für ihn entschieden, weil er eine Behinderung hatte. Durch einen Behandlungsfehler im Welpenalter ist ein Auge erblindet, der Glaskörper ist ausgelaufen und das Auge äußerlich stark vernarbt. Es sieht nicht schön aus, das hat uns aber nie gestört. Außenstehenden fällt die Behinderung auf Fotos und Videos nicht auf, weil Emilio eine unglaubliche Ausstrahlung hat. Dieser Kater hat uns bei der ersten Begegnung mit seinem Charme um den Finger gewickelt, ich hätte keinen anderen Kater haben wollen. Er war und ist etwas Besonderes und hat möglicherweise gerade wegen dieser Behinderung ein anderes Verhältnis zu Menschen entwickelt und seine Persönlichkeit durch seine unglaubliche Akzeptanz und Gelassenheit bereichert, was für die folgende Physiotherapie äußerst hilfreich war.

Dr. Schullenberg gehört zu den besonderen Menschen und Ärzten, die trotz einer lebensgefährlichen Erkrankung des Patienten ihren Optimismus nie verlieren. Die mit einem Lächeln auf den Lippen und einem Witz zur richtigen Zeit moralische Unterstützung gewähren, wo andere Ärzte schon lange aufgegeben oder eher menschlich Distanz gehalten hätten. Ohne sie hätten wir diese schwierige Zeit, mit dem letzlich guten Ergebnis, sicher nicht so gut überstanden! Daher hat sie bei uns einfach diesen unwiderstehlichen Spitznamen weg. Sie ist und bleibt unsere Dr. Schulli.

1 Comment
  1. Ray 12 Jahren ago

    Wirklich selten, dass Tiere so liebe- und respektvoll behandelt werden wie in dieser Geschichte. Hoffentlich endet sie gut.

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